Schweigen ist manchmal lauter als alles andere

Als vor 9 Jahren unser Neffe mit 3 ½ Jahren starb, ist – verständlicherweise – die ganze Familie mehr oder weniger durchgedreht. Als wir im Spital bei den Ärzten zur Besprechung sassen, wurde mir erschrocken bewusst, was jetzt mein Job ist: NICHT durchdrehen.

Wenn alle verrücktspielen, ist das zwar hilfreich, wenn es mittendrin einen gibt, der nicht durchdreht, der still ist. Es klingt auch schön. Einfach ist das aber nicht. Denn ich habe auch ja keine Ahnung und möchte am liebsten genauso durchdrehen, wie alle anderen. Trotzdem gibt’s im Grunde keine andere Wahl, als in all der Überforderung zu versuchen einen ruhigen Geist und ein waches Herz zu bewahren.

Das gilt für jeden.

Und es gilt in der aktuellen sozialen, ökologischen und vor allem weltpolitischen Lage. Vielleicht ist wache Gelassenheit, angesichts überwältigendem Wahnsinns, das Wertvollste was wir als Menschen und als Religionsgemeinschaften anbieten können.

Ich glaube, das ist unser Job als spirituell verwurzelte Menschen:

Uns zu fürchten, und uns trotzdem entschlossen zu erlauben, unerschrocken der leisen Macht unserer Seele zu folgen. Unserer ersten Muttersprache, der Sprache der Stille, zu vertrauen.

Still werden.

Nicht auf ewig.
Nicht immer.
Aber ein-, zweimal am Tag, jeden Tag, ein paar Minuten lang nicht sprechen, nicht lesen, nicht den Facebook-Status updaten, nicht mailen, … nur sein.

Und so, täglich, stündlich die ganze herausfordernd komplexe Wirklichkeit in Die geheimnisvoll schweigende Gegenwart legen – wie Priesterinnen und Priester.

Ja, ich weiss, man kann und darf nicht immer schweigen. Manchmal muss manaufstehen, eingreifen. Aber wer z.B. 1968 aufgestanden ist, und sich seitdem nicht mehr hingesetzt hat, den werden viele mit der Zeit längst ausgeblendet haben. Eben auch dann, wenn er etwas Wichtiges zu sagen hat.

Um gehört zu werden braucht es Stille.

Stell Dir vor, wir würden uns so verstehen.
Stell Dir vor, wir würden unsere Familien, unsere kleinen und grossen Gemeinschaften so verstehen.
Stell Dir vor, wir würden unsere Religionsgemeinschaften so verstehen.

Stell Dir vor, wir erlaubten uns zu werden, was wir im Herzen wirklich sind: ein Ort gelassener Unerschütterlichkeit und besonnener Klarheit.

Stell Dir vor, wir hätten den Mut uns zu fürchten,
und erlaubten uns deshalb, unerschrocken der leisen Macht unserer Seelen zu folgen, und lernten so Schritt für Schritt nicht durchzudrehen,
sondern dem geheimnisvollen Schweigen hinter den Dingen zu vertrauen.

Stell Dir vor, wir hätten tief verstanden,
dass unser Schweigen manchmal lauter, mächtiger sein kann, als alles andere.

Stell Dir vor, wir nähmen diesen Job ernst. Er ist nicht leicht.
Aber es gibt so viele, die auf uns warten.

Ein Kommentar zu “Schweigen ist manchmal lauter als alles andere

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