Wie ein Kiesel im Bachbett …

Wenn die Corona-Pandemie irgendwann einmal vorbei ist, wird man mich vermutlich erst ganz vorsichtig wieder auswildern müssen. Denn ich fürchte, dass ich das Tempo, das wir vorher hatten und den Umgang mit der Überfülle an Dingen, von denen wir glaubten, sie seien nötig, gar nicht mehr kann. Aber das ist – bei aller Tragik und bei allen existenziellen Herausforderungen, vor die diese Zeit uns stellt – für mich auch die eigentliche, positive Seite der Pandemie. Sie zwingt uns nicht nur, sie erlaubt uns wieder von Grund auf zu lernen, was es bedeuten kann, ganz zu Hause zu sein. Auch, ganz bei mir zu Hause zu sein. Das kann ein grosser Gewinn sein. Weil Menschen, die ganz bei sich zu Hause sind, es mit ihrer Art des Daseins auch anderen, die es vielleicht gerade eher durcheinanderwirbelt, leichter machen können, den Weg nach Hause zu finden. Das wiederum ist eigentlich eine Uraufgabe von Religion: Uns gegenseitig auf dem Nachhauseweg zu begleiten. Dabei gibt es in praktisch allen Religionen Wege und Hinweise, die uns dabei helfen wollen. Man kann sie fast alle, wenn man jeden Lokalkolorit und die Färbungen der Zeit weglässt, zusammenfassen unter dem grossen Weg der Stille. Es geht ums nur Sitzen, nur Schweigen, nur Gehen, nur Stehen, einfach nur Sein – und damit ums Eintauchen in die kraftvolle Stille des Augenblicks. Der Einstieg in diesen erfüllten Augenblick findet sich für die meisten von uns in der Natur. Sie ist die grosse Lehrmeisterin des Lebens. Sie macht es leichter, wieder auf den Boden zu kommen – und sie zeigt in unzähligen Details, wie Heimkommen wirklich geht. 

In der Spiritualität spricht man gern davon, dass es sich lohnt, zu beten, zu sitzen, zu sein, wie ein Kiesel im Bachbett. Ganz gegenwärtig, ganz auf den Grund gesunken, frei von Furcht, sich nicht wehrend gegen das, was als Bach, als Leben über mich hinwegfliesst. Das Leben ziehen lassen – für einen Augenblick. Und gleichzeitig ganz darin versunken, geborgen zu sein. Mag sein, dass es mich manchmal hin und her reisst. Vielleicht schleift es mir dabei auch die eine oder andere Kante ab (was ja nicht das Schlechteste wäre). Aber egal wie sehr mich das Leben an meiner Oberfläche berührt, egal wie heftig mich das Wasser umspült, so sehr erfahre ich, dass ich im Innersten nicht nass werden kann. Wenn ich mir Stille schenke, kann ich erfahren, dass es in mir einen Bereich gibt, der geheimnisvoll geschützt ist – ungeachtet dessen, was geschieht. 

Es ist ein grosser Unterschied, ob mir das jemand erzählt, ob ich es irgendwo lese, oder ob ich mir diese Erfahrung auch erlaube. Deshalb ist es so wichtig, sich wirklich auf das eigene Leben und auf diesen Moment meines Daseins einzulassen. Still werden, sein, gegenwärtig, wie ein Kiesel im Bach.  

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Mit Gott zu Mittag gegessen …

Es war einmal ein kleiner Junge, der unbedingt Gott treffen wollte. Er war sich darüber bewusst, dass der Weg zu dem Ort, an dem Gott lebte, ein sehr langer war. Also packte er sich einen Rucksack voll mit einigen Getränkedosen, einem Butterbrot und mehreren Schokoladenriegeln, und machte sich auf die Reise.

Er lief eine ganze Weile, bis er in einen kleinen Park kam. Es war recht schön dort. Der Park war einer von den Orten, an denen man sich frei und gleichzeitig sicher fühlte. Auf einer der Bänke am Rand einer grossen Wiese sah er eine alte Frau sitzen, die den Tauben zuschaute, wie sie vor ihr nach Futter auf dem Boden suchten.

Der kleine Junge setzte sich zu der Frau auf die Bank. Nachdem sie einige Zeit gemeinsam geschwiegen und den Tauben zugesehen hatten, und öffnete er seinen Rucksack. Er wollte sich gerade etwas zu trinken herausholen, als er den hungrigen Blick der alten Frau sah. Also griff er zu einem Schokoriegel und reichte ihn ihr.

Dankbar nahm sie das süsse Stück und lächelte ihn an. Es war ein wundervolles Lächeln! Er wollte dieses Lächeln noch einmal sehen und bot ihr auch etwas zu trinken an.

Sie nahm die Dose und lächelte wieder – noch strahlender als zuvor. Der Junge war selig.

Die beiden sassen den ganzen Nachmittag lang auf der Bank im Park, assen Schokoriegel und tranken aus den Dosen – aber sprachen kein Wort.

Als es dunkel wurde, spürte der Junge, wie müde er war und beschloss, zurück nach Hause zu gehen. Nach einigen Schritte hielt er inne und drehte sich um. Er ging nocheinmal zu seiner neuen „alten“ Freundin zurück und umarmte sie.

Sie schenkte ihm dafür ihr allerschönstes Lächeln.

Zu Hause sah seine Mutter eine stille, aber unerschütterliche Freude in seinem Gesicht und fragte: „Was hast du denn heute Schönes gemacht, dass du so fröhlich aussiehst?“

Der kleine Junge antwortete: „Ich habe mit Gott zu Mittag gegessen – und sie hat ein wundervolles Lächeln!“

Auch die alte Frau war mittlerweile nach Hause gegangen, wo ihr Sohn schon auf sie wartete. Auch er fragte sie, warum sie so fröhlich aussah.

Sie antwortete: „Ich habe mit Gott zu Mittag gegessen – und er ist viel jünger, als ich gedacht habe.“       (VerfasserIn unbekannt)

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Nutzen Sie die Fastenzeit (und jede andere Minute ihres Lebens) um sich für die unerwartete Gegenwart Gottes zu öffnen. Oder anders ausgedrückt: Erwarten Sie nichts, aber rechnen Sie mit allem!                                                                                                      Karl H. Scholz