Eines Tages kam eine Schülerin zum Meister. Sie hatte schon so viel von dem weisen Mann gehört, dass sie unbedingt bei ihm studieren wollte. Sie hatte alle Angelegenheiten geregelt, ihr Bündel geschnürt und war den Berg hinauf gestapft – was sie zwei Tage Fußmarsch gekostet hatte.
Als die junge Frau völlig abgekämpft beim Meister ankam, sass der in aller Ruhe auf einer Matte und trank Tee. Sie begrüsste ihn überschwänglich und erzählte ihm, welche spirituellen Abenteuer sie schon erlebt hatte, welche Askese sie schon auf sich nahm, und wie viel Zeit sie sich pro Tag für das Gebet nehme, und was sie schon alles gelernt habe. Dann bat sie ihn, bei ihm weiterlernen zu dürfen.
Der Meister lächelte freundlich und sagte: “Komm in einem Monat wieder.”
Von dieser Antwort völlig verwirrt ging die junge Frau wieder zurück ins Tal. Sie diskutierte mit Freunden und Bekannten darüber, warum der grosse Meister sie wohl zurückgeschickt hatte.
Einen Monat später erklomm sie den Berg erneut mit nicht weniger Mühen, und kam zum Meister, der wieder auf seiner Matte, teetrinkend am Boden saß.
Diesmal erzählte die Schülerin von all den Hypothesen und Vermutungen, die sie und ihre Freunde darüber hatten, warum er sie wohl fortgeschickt hatte. Sie erzählte davon, wie sie darüber diskutiert hatten ob sie schon ausreichend viel gelernt habe, oder ob es noch zu früh sei, den Meister aufzusuchen – ob sie noch zu jung sei? Dennoch bat sie ihn, bei ihm lernen zu dürfen.
Der Meister lächelte sie freundlich an und sagte: “Komm in einem Monat wieder.”
Dieses frustrierende Spiel wiederholte sich einige Male. So langsam verliess die junge Frau der Mut. Es war nach langem Zaudern und vielen, vergeblichen Versuchen, dass sich die junge Frau denoch erneut aufmachte, um zu dem Meister zu gehen. Als sie diesmal beim ihm ankam und ihn wieder teetrinkend vorfand, setzte sie sich ihm gegenüber, lächelte und sagte nichts.
Nach einer Weile ging der Meister in seine Behausung und kam mit einer Tasse zurück. Er schenkte ihr Tee ein und sagte dabei: “Jetzt kannst du hier bleiben, damit wir zusammen üben können. In ein volles Gefäß kann man nichts füllen.”
Auch, wenn wir uns am Beginn der Ferien eher leer fühlen, so ist das nicht die erfüllende Leere, von der die spirituellen Traditionen sprechen. Wenn wir von Arbeit und Alltag leer sind, dann sind wir eigentlich eher ausgepresst und ausgelaugt. Das ist etwas anderes, als im geistlichen Sinn leer und offen zu sein. Wer sich dann wirklich wieder regenerieren möchte, der darf nicht der Illusion verfallen, er müsste möglichst viel „haben“ (Freiheit, Zeit, Erlebnisse,…) um sich wieder aufzufüllen. Er muss, im Gegenteil, die Schlappheit eine gute Zeit lang aushalten und hinhalten und muss vor allem eines lernen: unproduktives Warten, ohne sich abzulenken. Sonst merkt er nämlich gar nicht, dass er längst vor lauter Hunger seinen Hals so voll mit Überflüssigem gestopft hat, dass er eigentlich am liebsten ko…. möchte.
Ferien heisst, „nicht Müssen“. Gönnen Dir dieses „nicht Müssen“. Du musst gar nichts. Nicht mal glücklich sein musst Du! Wenn Du das zulassen kannst, wirst Du es vielleicht ganz von selbst.