Mein Kunstlehrer hatte einen uralten Diaprojektor. Es war noch so ein Modell, bei dem man die Dias (ältere unter uns werden sich noch erinnern, was ein Dia ist) von Hand in eine Schiene schieben musste, um sie dann in den Lichtschacht des Projektors zu drücken. Auf der anderen Seite kam dann das vorher betrachtete Bild heraus und man konnte das nächste Dia einschieben – wenn es klappte. Eigentlich ist das ein ganz einfacher und ziemlich unverwüstlicher Mechanismus ohne überflüssige, mechanische Bauteile oder anfällige Micromotoren. Nur Fingerkraft und ein wenig Metall – wenn es funktionierte. Und das tat es nicht bei jedem.
Bei dem bewussten Kunstlehrer funktionierte es nicht. Entweder brachte er das verflixte Dia nicht in die Führungsschiene, oder es blieb – wenn es denn mal drin war – für immer und alle Ewigkeit im eisernen Griff der heimtückischen Höllenmaschine stecken. In den meisten Fällen führte verbissenes Herumfummeln dazu, dass die perfide Technik frech und respektlos zubiss. So steckte am Ende nicht nur das mittlerweile verbogene Dia von Picassos „Les Demoiselles d’Avigion“ in den blechernen Rahmen fest, sondern auch des verzweifelnden Künstlers schmerzender Finger.
Ich vermute er hatte einen Dauerauftrag bei irgend einem Pflasterhersteller seines Vertrauens.
Nie um einen guten Kommentar verlegen, murmelte die erschütterte Lehrperson in solch tragischen Situationen jeweils: „Ich bin mir SICHER, dass sich die Dinge BOSHAFT gegenüber dem Menschen verhalten können.“
Wer verhält sich hier gegenüber wem? Ist es wirklich das dumme Stück Metall, das mir in den Finger schneidet? Es stimmt schon, ich neige auch manchmal zu der Annahme, mein Computer habe ausgeprägt bockige Persönlichkeistzüge. Aber das tue ich vor allem dann, wenn mir selbst die Aufmerksamkeit fehlt und ich genervt bin und es viel zu mühsam wäre, genau das auszuhalten.
Denn wir empfinden es in der Regel als ziemlich unangenehm und vor allem wenig schmeichelhaft, wenn wir beginnen unsere eigene Unzulänglichkeit und unsere eigene Unsicherheit zu spüren. Niemand ist gerne der Blöde. Also machen wir das „Ding“ zum dummen Ding und spalten ab, was eigentlich zu unserer Einzigartigkeit gehört.
Das wäre noch kein all zu grosses Problem, machten wir hier einen Unterschied zwischen Dingen und Menschen. Leider tun wir das nicht. Schneller als eine Millisekunde sind wir bereit, unsere genervten Stimmungen, unseren eigenen Frust und Ärger, unsere eigene Angst, und vor allem den eigenen Egoismus auf die anderen zu Projizieren. Das Leben scheint einfacher, wenn die anderen Blöd sind. Oder mindestens bequemer, weil ich mir so den bitteren Geschmack von Scham und Reue, der mit allem Erkennen verbunden ist, erspare.
Vielleicht bräuchten wir manchmal auch einen Ort, wo wir uns von Herzen blöd anstellen dürften, ohne uns gleich geisseln zu müssen.
Das entspräche viel mehr unserer Natur, als immer alles – aus der Sicht der Anderen und der Moral – richtig und perfekt zu machen. Wie sollen wir uns denn Entwickeln, wie sollen wir denn lernen, ohne uns vorher mindestens ein wenig blöd angestellt zu haben? Wie sollen wir neue Wege finden, wenn wir stets brav auf den alten Pfaden „trotten“ (Sie empfinden den Geschmack des „Trottels“ in dieser Art des Gehens?).
Wenn wir ganz still werden, können wir sehen, dass eine geheimnisvolle Gegenwart in jedem Menschen leuchtet, dass sie darauf wartet, entdeckt und freigelegt zu werden – und das wird sie nicht durch Perfektion und Können, sondern viel eher dadurch, mit Vertrauen und Mut, dem Abgründigen in mir, dem Frust, der Angst, der Langeweile, dem Egoismus, so lange ins Gesicht zu schauen, bis mein Herz sich mit ihnen versöhnt hat.
Dann braucht es keine „dummen“ Diaprojektoren, keine „bockigen“ Computer und keine „gemeinen“ Mitmenschen mehr nur, damit ich mich nicht blöd fühle.
Ich wünsche uns einen fröhlichen und „depperten“ und ausgelassenen und freien und unkonventionellen Blick, damit wir uns niemals unserer Selbst schämen, sondern bestenfalls laut und von Herzen über uns und die Welt lachen.