Als wäre es das erste Mal …

Ich möchte gern ein Anfänger sein. In allem, was ich tue und was ich bin, möchte ich ein einfacher, blutiger Anfänger sein. Nach 50 Jahren als Mensch, nach 22 Jahren als Seelsorger, nach 18 Jahren Ehe und nach bald 13 Jahren als Papa, möchte ich mich, Augenblick für Augenblick je neu als Anfänger vom Leben führen lassen.

Früher dachte ich, es ginge darum, die Dinge zu können. Mehr noch, sie besser zu können als andere. Ich hatte geglaubt, ich müsste mich überall behaupten, beweisen und durchsetzen. Auf dem Weg der Stille durfte ich lernen, wie peinlich das sein kann. Und wie verletzend – für andere und für mich.

In meinem Tunnelblick hatte ich Bewunderung mit Liebe verwechselt. Dieser verkürzte Blick degradiert: mich zum ‘Könner’ und die anderen zu minderwertigen Zuschauern. Das nährt niemanden, es zehrt nur aus.

Als ‘Könner’ bin ich zudem ein „Festgelegter“ und damit blitzschnell ein ‘Festgefahrener’. Als ‘Könner’ fehlen meinem Herz die Ohren. Und den Ohren fehlt, wie auch dem Tun, das Herz.

Als Anfänger aber, weiss ich nichts, habe nichts, bin nichts Besonderes, einfach nur Anfänger. Was bleibt ist offene Weite.

Vom offenen Blick des Anfängers geführt, habe ich keine Ahnung, was aus meinem Tun entsteht. Erst recht nicht, was sich aus meinem Sein entfaltet. Als Anfänger weiss ich nicht. Es bleibt nur, Atemzug um Atemzug in den Augenblick hineinzuwachsen – mich, die anderen, die ganze Welt immer wieder neu zu empfangen. Alle Möglichkeiten stehen offen. Der Blick wird frei, für den nächsten, klaren und oft notwendigen Schritt.

Vielleicht ist es genau das, was uns im eigenen Älterwerden an der Jugend so fasziniert: dass wir am Anfang unseres Weges noch eine leise Ahnung von der unergründlichen Weite und Kostbarkeit des Lebens hatten.

Wirklich zu fragen, ist ein wunderbares Werkzeug echten Anfangens. Was wäre, wenn wir als Menschheit, als Staaten, als Städte und Dörfer, wieder lernten, die richtigen Fragen zu stellen, genau und tief. Wenn wir offen hinhörten, von wo sich eine Antwort zeigt – und nicht aufhören, wahrhaft Lauschende zu sein.

Wohin wird es uns führen, wenn wir uns von der Faszination des ‘Könnens’ und der Leistung verabschieden? Wohin gehen wir, wenn wir lernen, noch klarer die Kraft des ‘nicht Wissens’, der Unfassbarkeit und des Einfachen zu entdecken. Welcher Weg wird sich zeigen, wenn wir uns erlauben, ganz wach und radikal offen, durch unsere Fragen hindurchzugehen?

Den schweren Rucksack des ‘ich weiss schon’ stelle ich ab. Immer wieder. Mit leeren Händen und weitem Geist atme ich ein, als wäre es das erste Mal. Dann ein Schritt …

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